Vermutlich kennen die meisten, die diese Zeilen lesen, den Film Der Club der toten Dichter, im Original Dead poets society. Viele werden ihn – wie ich – in ihrer heimischen DVD-Sammlung wissen. Ein hervorragender Film mit einer tollen Botschaft. Vor den Herbstferien wurden wir im Hauptseminar dazu eingeladen, uns schon bekannte Ausschnitte erneut anzuschauen. Das Thema der vorherigen Stunden waren Schülerfeedback und Evaluation gewesen. Wenn man es so interpretieren möchte: der perfekte Lehrer. Was soll ein Lehrer tun? Und was nicht? Wie sehen wir uns als Lehrkräfte? Wie sehen die Schüler uns? Welche Chancen kann das Reflektieren und Evaluieren unserer Stunden uns eröffnen?
Eine grundsätzlich schöne Thematik – ich evaluiere meinen meinen Unterricht regelmäßig anonym, aber vielmehr baue ich auf das ehrliche Feedback meiner Schüler in unseren wöchentlichen Feedbackrunden. Dazu schreibe ich beizeiten aber einen anderen Beitrag, sonst wird’s hier zu lang Nun gut, nach dem Bewerten fremder Unterrichtsstunden und dem Evaluieren eigener Unterrichtsstunden stand also Der Club der toten Dichter auf dem Plan. Wir sollten uns auswählte Szenen des Unterrichts von Mr. Keating anschauen und wurden nach dem Anschauen aufgefordert, uns zu überlegen, ob wir ihn als Schulleiter anstellen würden: ja, nein oder vielleicht. Wie hättet ihr euch entschieden?
Ist Mr. Keating der perfekte Lehrer? Ja oder nein?
Ich nehme es vorweg: Ich war in der Vielleicht-Gruppe. Warum ich mich dafür entschied? Weil mir sein Verhalten einerseits imponierte, andererseits fand ich den Umgang mit den Schülern teilweise wirklich erschreckend. Interessant ist, dass ich das gar nicht so in Erinnerung hatte. Wenn man die Szenen mit dem Fokus auf der Lehrkraft und dessen Beurteilung sieht, fallen offenbar Dinge auf, die vorher verborgen geblieben sind.
Das Ergebnis der Seminargruppe war erstaunlich ausgeglichen: 8 Personen stimmten für Einstellen, 7 Personen für Vielleicht Einstellen. Niemand entschied sich für Nicht Einstellen.
Warum ein Schulleiter Mr. Keating einstellen würde
Die Pro Einstellen-Gruppe beschäftigte sich währenddessen mit den Gründen für das Einstellen von Mr. Keating. Die Gründe dafür sind in den Unterrichtsszenen offensichtlich: Er überträgt seine Begeisterung für sein Fach auf seine Schüler und versucht, aus jedem einzelnen Schüler das Beste herauszuholen. Er vollzieht schüleraktiven Unterricht, lässt die Schüler aufstehen, auf Tische klettern und aus ihrem langweiligen Schulalltag ausbrechen. Im Gegensatz zu den anderen skizzierten Lehrkräften ist Mr. Keating nahbar für seine Schüler und lässt bewusst Nähe zu. Mr. Keating sieht es zudem als seine Aufgabe, aus seinen Schülern selbstdenkende, kritische, selbstständige Menschen zu machen. Alles Kriterien, die unheimlich viel wiegen.
Warum ein Schulleiter Mr. Keating nicht einstellen würde
So viel zu den positiven Dingen. Man könnte fast denken, Mr. Keating ist der perfekte Lehrer. Die Aufgabe in unserer Vielleicht-Gruppe war es aber, anhand des Schulgesetzes und der eigenen Beobachtungen zu begründen, warum wir als Schulleiter Mr. Keating nicht einstellen würden. Diese Aufgabe war vermutlich für die Nicht Einstellen-Gruppe bestimmt, aber die gab es ja nun mal nicht
Was sofort eine Diskussion auslöste, war der Umgang mit einzelnen Schülern: Wie einzelne Schüler vorgeführt, getriezt und sogar bedrängt wurden, erschien uns allen unangebracht. Das Ziel der Mission war klar: Er wollte das Beste aus seinen Schülern herauslocken und schaffte dies auch. Im Schulalltag würde es eher zum Gegenteil führen: Die Schüler würden sich zurückziehen. Das Schulgesetz besagt, dass die körperliche und psychische Unversehrtheit der Schülerinnen und Schüler zu gewährleisten ist. Das ist in diesem Fall nicht mehr gegeben.
In einer frühen Unterrichtsszene lässt Mr. Keating die Schüler Seiten aus ihren Schulbüchern reißen, da er das Modell, anhand dessen Gedichte interpretiert werden sollten, für ungeeignet hält. Nun stellt sich als Schulleiter die Frage, ob man einen Lehrer einstellen möchte, der die vorgesehenen Inhalte nicht vermittelt. Das Schulgesetz nennt es als Aufgabe der Schule, das Ziel des Bildungslehrgangs zu erreichen. Mit dem Ignorieren der geforderten Inhalte ist dieser Punkt hinfällig.
Direkt an diese Szene schließt ein essentieller Kritikpunkt an: Mr. Keating möchte die Schüler zum selbstständigen und kritischen Denken motivieren. Doch was tut er tatsächlich? Er lässt unreflektiert und ohne kritische Betrachtung Seiten aus einem Buch reißen, damit die Schüler das Modell nicht nutzen. Warum? Weil er es für ungeeignet hält. Wo bleibt das selbstständige und kritische Denken, wenn Mr. Keating das, was sie denken sollen, vorgibt? Ein Freigeist zu sein, ist nichts Schlimmes – doch ist man ein Freigeist, wenn man es nur ist, weil man es sein soll? Auch hierzu gibt es klare Vorschriften im Schulgesetz: Eine Beeinflussung der Schüler wird für nicht zulässig erklärt.
Die Überraschung kam zum Schluss
Wirklich überraschend war für uns das Statement unseres Seminarleiters: Er zog die rote Karte und outete sich als Nicht Einstellen-Gruppe. Die Aufgabe der selbst denkenden und kritischen Schüler outete er als Lüge – denn wer seinen Schülern vorgibt, was sie zu denken haben, kann keine kritischen und selbstdenkenden Schüler als Ziel haben. Auf die Frage hin, in welcher Szene er echtes selbstständiges Denken seiner Schüler fördert, fiel uns nach genauem Überlegen genau eine Szene ein: Als Mr. Keating seine Schüler auffordert, andere Perspektiven einzunehmen und sie auf seinem Lehrertisch stehen lässt.
Angeführt wurde desweiteren die unangemessene Nähe zu seinen Schülern, dass er sich Captain nennen und sich von seinen Schülern grundlos feiern lässt (Szene: Fußballspiel). Sehr interessant, da die Nähe zu seinen Schülern auch als Grund für ein Einstellen gesehen werden kann.
Ich persönlich fand die Diskussion um Mr. Keating äußerst wertvoll, da ich den Film einmal aus einem völlig neuen Blickwinkel betrachtet habe. Dennoch bleibt Der Club der toten Dichter natürlich ein grandioser Film mit einem begnadeten Robin Williams in der Hauptrolle.
Bleibt noch eine Frage: Würdet ihr Mr. Keating einstellen oder nicht? Ist er der perfekte Lehrer? Und warum?
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